Für das Zusammenleben von Menschen, Wirtschaft und Institutionen brauchen wir Regeln. Diese Regeln bilden die rechtliche Ordnung (= Rechtsordnung) eines Staates. Das erste Merkmal eines Rechtsstaates ist, dass die Rechtsordnung für alle gilt. In einem Rechtsstaat müssen sich nicht nur die Bevölkerung sowie die Unternehmen, Vereine und Verbände an die Rechtsordnung halten, sondern auch der Staat selbst. Das zweite Merkmal eines Rechtsstaates ist: Seine Gesetze dürfen die Grundrechte und Menschenrechte nicht verletzen. Die Grundrechte und Menschenrechte bauen auf Wertvorstellungen auf, die eine lange Tradition haben. Das dritte Merkmal eines Rechtsstaates ist: Die Einhaltung der Gesetze kann sowohl durch den Staat als auch durch die Bürger/innen kontrolliert werden. Diese drei Merkmale sollen garantieren, dass es in einem Rechtsstaat Gleichheit vor dem Gesetz und faire Verfahren gibt.
Die wichtigsten Grundlagen der Rechtsordnung in Österreich sind: >> die österreichische Bundesverfassung >> und das Recht der Europäischen Union Die österreichische Bundesverfassung enthält besonders wichtige Regeln für den Staat, seine Bürger/innen und alle in Österreich lebenden Menschen. Zusammen mit dem Recht der Europäischen Union ist sie die rechtliche Grundlage für das Funktionieren der Republik Österreich.
Die Bundesverfassung regelt vor allem: >> die Staatsform (Republik statt Monarchie) → siehe Kapitel 5 >> den Aufbau des Staates (Bundesstaat statt Zentralstaat) → siehe Kapitel 6 Die Demokratische Grundordnung Österreichs >> die wichtigsten Aufgaben des Staates (Gesetzgebung, Verwaltung und Gerichtsbarkeit) → siehe Kapitel 7 >> die Organisation der Aufgaben des Staates und ihr Verhältnis zueinander (z.B. Gewaltenteilung, Kontrolle) → siehe Kapitel 3 und 7 >> und die Grundrechte des Einzelnen → siehe Kapitel 1
Der liberale Rechtsstaat legt fest: Alle Menschen, die sich in Österreich aufhalten, dürfen alles tun, was ihnen nicht durch das Gesetz verboten ist. Der Staat hingegen darf nur das tun, was das Gesetz erlaubt. Die Gesetze sind die Grundlage staatlicher Macht. Und die Gesetze bestimmen zugleich die Grenze dieser staatlichen Macht. Gerichte kontrollieren, dass die staatlichen Stellen die Gesetze auch wirklich einhalten. So kontrolliert z.B. der Verwaltungsgerichtshof die Entscheidungen der staatlichen Verwaltung (z.B. die Entscheidung einer Bezirkshauptmannschaft oder eines Magistrats). Der Verfassungsgerichtshof kontrolliert, ob die österreichische Bundesverfassung eingehalten wird. Er prüft zum Beispiel, ob Gesetze zur Verfassung passen. Zusätzlich prüft der Verfassungsgerichtshof in bestimmten Fällen auch Entscheidungen der staatlichen Verwaltung. Die Bundesverfassung legt fest: Die Gerichte sind von der Verwaltung getrennt. Damit können Richter/innen ihre Arbeit unabhängig durchführen. Sie entscheiden nur aufgrund der Rechtsordnung. Niemand darf ihnen dabei etwas anordnen. Richter/innen sind auch unabsetzbar und unversetzbar. „Unabsetzbar“ bedeutet: Sie können niemals wegen einer getroffenen Entscheidung entlassen werden. „Unversetzbar“ bedeutet: Sie können nicht gegen ihren Willen an ein anderes Gericht versetzt werden.
Ich, wir, alle Einwohner/innen Österreichs – unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit und ihrer Aufenthaltsdauer – können darauf vertrauen, dass sich der Staat an die Gesetze hält. Staatliche Stellen müssen die Gesetze ohne Benachteiligung und Bevorzugung anwenden. Es dürfen also im Rechtsstaat keine ungerechtfertigten Unterscheidungen zwischen den Einwohnerinnen/Einwohnern eines Landes gemacht werden. Zum Beispiel dürfen wir nicht schlechter oder besser behandelt werden wegen unseres Geschlechts, unserer Herkunft, unserer Religion, unserer sozialen Stellung oder unserer Hautfarbe. Rechtsstaat bedeutet auch, dass der Staat sein Recht einfordern darf. Umgekehrt können wir sicher sein, im Rechtsstaat unsere Rechte erlangen zu können. Das geschieht allerdings nicht von selbst. In bestimmten Fällen müssen wir uns dafür an ein Gericht wenden. Aufgaben der Gerichte Was tun die Gerichte? In einem Strafverfahren gibt es eine/n Ankläger/in, eine/n Beschuldigte/n und eine/n Richter/in. Der/Die Ankläger/in ist ein Staatsanwalt/eine Staatsanwältin, der/die die Republik Österreich vertritt. Ein Strafverfahren kann es zum Beispiel bei einer Körperverletzung oder bei einem Diebstahl geben. Am Ende dieses Verfahrens entscheidet eine unabhängige Richterin/ein unabhängiger Richter, ob der/die Angeklagte schuldig oder unschuldig ist. In einem zivilrechtlichen Verfahren geht es um andere Streitigkeiten zwischen Privatpersonen oder Unternehmen: Etwa um den Anspruch auf Lohn oder um Schadenersatz nach einem Unfall. Für solche Klagen sind Zivilgerichte zuständig (z.B. ein Bezirksgericht oder Landesgericht). Am Ende dieses Verfahrens entscheidet auch eine unabhängige Richterin/ein unabhängiger Richter, wer Recht hat (und wer nicht Recht hat). Als Service bieten die Bezirksgerichte „Amtstage“ an. Der Amtstag findet in der Regel einmal in der Woche am Dienstag statt. Während eines Amtstages werden allgemeine Rechtsauskünfte einfacher Art gegeben, die sich auf konkrete oder beabsichtigte Rechtsstreitigkeiten beziehen. An den Amtstagen können wir auch mündliche Klage erheben (wenn wir keinen Rechtsanwalt/keine Rechtsanwältin haben). Die Beratung am Amtstag ist kostenlos. Entscheidungen von Gerichten können in den meisten Fällen von einem höheren Gericht überprüft werden. Dies nennt man auch Überprüfung durch die nächste Instanz.
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In letzter Instanz werden alle wichtigen Fragen des Zivilrechts und Strafrechts vom Obersten Gerichtshof entschieden.
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